Potenzialanalysen – Führungskräfte gezielt entwickeln
Kurz vor 19 Uhr verlässt Felix Bertram verärgert sein Büro. „Was hast Du den ganzen Tag über eigentlich gemacht?“ hörte er eine innere Stimme fragen. „Gute Frage, Quatschi“ antwortete Herr Bertram seiner inneren Stimme. Und tatsächlich: den ganzen Tag über war er beschäftigt gewesen, immer unter Stress, eine kurze Mittagspause und einige Tassen Kaffee hatte er in sich hinein gekippt.
Trotz der vielen Aktionen: was hatte er erledigt, abgeschlossen? Welche Ziele hatte er erreicht, was wirklich bewirkt? Klar, das Mitarbeitergespräch mit seiner neuen Mitarbeiterin war erfolgreich, er hatte ihre Bedenken hinsichtlich des Einarbeitungsplans zerstreuen können. Auch die Verkaufsverhandlung mit dem Hauptkunden war glücklicherweise ganz erfolgreich gewesen, auch wenn dieser nicht bereit war, die angebotenen Preise zu akzeptieren. Aber die Herstellkosten für die Normalatoren lagen nun mal über dem Branchenschnitt. Da kann man nichts machen. Aber was hatte er sonst noch erreicht? Er fand keine wirklich befriedigende Antwort.
Seine innere Stimme meldete sich wieder und mahnte ihn: „Was ist mit dem 3-Jahres-Absatzplan, den du schon lange erstellen wolltest, was ist mit der Leistungsbeurteilung, die du machen wolltest und dabei endlich einmal die kritischen Verhaltensweisen deines Mitarbeiters ansprechen musst? Und außerdem: wie weit ist die Präsentation des neuen Hybridenschlonzes.“ „Ja, ja, morgen mach ich das alles“ unterbrach er seine innere Stimme. Doch er wusste insgeheim, dass er morgen wieder so wie heute aus seinem Büro gehen würde und wenn er nichts ändern würde, würde es immer so bleiben.
Felix Bertram erkannte, dass er Hilfe brauchte. Am nächsten Morgen vereinbart er einen Termin bei dem zuständigen Personalentwickler David Drummer. Um nicht gleich mit der Wahrheit rausrücken zu müssen, erkundigt er sich nach einem Seminar zum Thema Zeitmanagement. David Drummer war ein erfahrener Profi, der sofort den Selbstoffenbahrungsteil in der Frage erkannte und nach der Zielsetzung des Seminarbesuchs fragte. „Ich möchte meinen Verantwortungsbereich besser organisieren, Prioritäten setzen, Konflikte besser meistern und…außerdem noch…“antwortete Felix Bertram einigermaßen wahrheitsgemäß. „Noch etwas?“ bohrte sein Gegenüber nach. „Ich glaube, ich muss noch viel ändern, damit ich meinen Bereich wieder voll in den Griff bekomme.“ „Was halten Sie davon, Ihre Fähigkeiten und verborgenen Talente einmal genauer kennen zu lernen und dann diejenigen Bereiche gezielt weiter zu entwickeln, die Sie wirklich brauchen, um Ihren Bereich dahin zu führen, wo er laut Zielvereinbarung am Ende des Jahres sein sollte. Eine Potenzialanalyse kann ihnen zu diesen Erkenntnissen verhelfen. Sie erhalten präzise Empfehlungen, wie Sie Ihre Potenziale entwickeln und nutzen können.“
Felix Bertram hatte schon von der Potenzialanalyse gehört. Diejenigen Kollegen, die sie bereits durchlaufen hatten, waren zwar nicht begeistert gewesen, aber sie hatten in den Monaten danach eine merkliche Veränderung in ihrem Führungsverhalten gezeigt. „Ist das so eine Art Seelenstriptease vor Psychologen und das passiert mit den Ergebnissen?“ wollte er von David wissen. „Seelenstriptease ist es nicht, Sie werden unterschiedliche Aufgaben bewältigen müssen so wie Sie es heute auch in Ihrem Arbeitsalltag tun. Bei einigen Aufgaben werden Sie gefilmt, Ihnen sitzen dann professionelle Rollenspieler gegenüber, mit denen Sie dann ein Gespräch führen sollen. Sie werden einen stressigen Tag erleben, aber das kennen Sie ja aus Ihrem Alltag. Die Berater fassen ihre Beobachtungen in einer umfangreichen Expertise zusammen und stellen Ihnen diese detailliert vor. Am Ende der Potenzialanalyse stehen Empfehlungen, was Sie mit welchen Methoden lernen und verändern sollten, wenn Sie Ihre Potenziale nutzen wollen. In unserem Unternehmen erhalten nur Sie selbst diese Expertise und Sie entscheiden, wie Sie damit umgehen wollen“ antwortete er. Felix Bertram erkannte, dass dieses Verfahren ein Weg war, einen großen Schritt zur Lösung einiger seiner Hauptprobleme war. „Sie haben mich neugierig gemacht, ich möchte noch ein paar Tage Bedenkzeit und außerdem noch mit meinem Chef darüber sprechen, ich melde mich bei Ihnen, herzlichen Dank für das Gespräch.“ Er verabschiedete sich von Herrn Drummer mit einem Gefühl der Zuversicht, aber auch einer spürbaren Unruhe.
Der Rest des Tages kam er nicht dazu, über das Gespräch weiter nachzudenken. Der Alltag hatte ihn wieder in Besitz genommen. Meetings, e-mails, Telefonate und troubleshooting verlangten seine ganze Aufmerksamkeit. Erst am Abend, als um ihn herum die Lichter ausgingen und Ruhe einkehrte, meldete sich seine innere Stimmer wieder. „Du kannst doch nichts verlieren, mach einfach eine solche Potenzialanalyse, schlimmer geht nimmer.“ Er stand auf und ging zu seinem Chef, der ebenfalls noch arbeitet. Sie besprachen, was er heute Morgen bei David Drummer erfahren hatte und dass er bereit sei, eine Potenzialanalyse zu durchlaufen. Sein Chef war froh, dass sich Felix Bertram zu diesem Schritt entschlossen hatte. Er war mit dessen Leistung nicht zufrieden und wollte ihn spätestens beim nächsten Beurteilungsgespräch darauf ansprechen. „Mein OK haben Sie dazu, melden Sie sich an.“ Erleichtert bedankte sich Felix Bertram bei seinem Chef und beschloss, seinen Arbeitstag zu beenden. Er ahnte, dass sich etwas ändern würde, auch wenn er noch nicht wusste, was es war und wie es sich ändern würde. Der erste Schritt war getan.
Die Einladung zu Potenzialanalyse kam schon wenige Tage nach seiner Anmeldung. In 3 Wochen sollte es soweit sein: 2 Tage in einem Seminarhotel, auf der Teilnehmerliste standen noch 5 weitere Namen, die er nicht kannte, obwohl es offensichtlich alles Mitarbeiter seines Unternehmens waren. Außerdem erkannte er, dass drei externe Berater die Potenzialanalyse durchführen. Es störte ihn ein wenig, dass die Veranstaltung Freitag und Samstag stattfand, aber er sah ein, dass auch er seinen Teil zu dieser Investition in seine Zukunft beitragen musste.
Die Zeit verging wie im Flug. Seine innere Stimme meldete sich nicht mehr so oft bei ihm, doch je näher der Zeitpunkt der Potenzialanalyse kam, umso größer wurde seine Anspannung. Mit sehr gemischten Gefühlen fuhr er ins Seminarhotel. Dort wurde er von den Beratern freundlich begrüßt. Einige andere Teilnehmer waren ebenfalls schon da und er gesellte sich zu ihnen. Mit Smalltalk versuchten sie, ihre Nervosität zu überspielen, was nur mäßig gelang. Pünktlich begann die Veranstaltung. Der Tagesablauf wirkte vollgepackt und genau strukturiert. Die Berater stellten ihn vor, in einer kurzen Vorstellungsrunde erfuhr er, wer die anderen Führungskräfte waren. Jeder hatte die Möglichkeit, seine offenen Fragen zu stellen. Doch niemand fragte irgendwas. Die Spannung im Raum konnte man deutlich spüren. Dann gaben die Berater den Startschuss und die Teilnehmer verteilten sich in die entsprechenden Räume. Jeder bekam unterschiedliche Aufgaben, die es galt, in der dafür geplanten Zeit zu bearbeiten. Felix Bertram kam mit einigen Aufgaben gar nicht gut zurecht, andere Aufgaben fand er einfach und bewältigte sie ohne Mühen. Die professionellen Rollenspieler waren für ihn eine echte Herausforderung: sie brachten ihn mit ihren Fragen zur Verzweiflung, und dies geschah auch noch vor laufender Videokamera. Er kam sich vor, wie bei dem Gespräch vor einigen Wochen mit seiner Mitarbeiterin, nur war diese nicht so hartnäckig gewesen. Eine Aufgabe folgte der anderen, kurze Pause zum Kaffeetrinken und schon ging es weiter. Der Tag war wie im Flug vorbei. Hier in der Potenzialanalyse war es noch stressiger gewesen als im Büro und er konnte sich gar nicht mehr an alle Situationen im Detail erinnern.
Nach dem Abendessen unterhielt Felix Bertram mit den anderen Teilnehmern. Auch sie waren froh, den stressigsten Teil der Potenzialanalyse hinter sich zu haben. Die Berater waren in den Seminarräumen verschwunden und arbeiteten konzentriert an der Auswertung der Aufgaben, schauten sich die Videoaufzeichnungen an und fassten ihre Beobachtungen zusammen. Als Felix Bertram beschloss, schlafen zu gehen, waren die Berater noch am arbeiten. Auf dem Weg zum Hotelzimmer meldete sich seine innere Stimme wieder. „Ob das was bringt, du hast bestimmt versagt, die anderen waren bestimmt besser, hättest Dich mehr anstrengen sollen..“ raunte er. Aber Felix Bertram war zu müde, die Bierchen an der Bar hatten ihm den Rest gegeben. Er fiel in einen traumlosen Schlaf.
Um 9.00 Uhr wurde er von einem Berater freundlich in einem Seminarraum empfangen. Er war mit dem Berater allein im Raum. Felix Bertram war sichtlich angespannt und nervös, er wusste nicht genau, was auf ihn zukam. Der Berater erläuterte ihm den Ablauf des Rückmeldegesprächs und dann begann er, die Ergebnisse darzustellen.
Der erste Überblick ergab ein ganz unterschiedliches Bild: im Abgleich zu dem seiner Tätigkeit zugrunde liegenden Anforderungsprofil wurde deutlich, wo er richtig gut war, also das Anforderungsprofil erfüllte und wo seine Potenziale lagen, er also Defizite zum Anforderungsprofil hatte. Er konnte auch erkennten, wo er im Vergleich zu den anderen Teilnehmern lag, leider waren sie anonym aufgelistet. Dann erläuterte der Berater die Beobachtungen in jedem Kriterium und in jeder Aufgabenbearbeitung. Einige Aussagen konnte Felix Bertram sofort verstehen, bei anderen war dies nicht der Fall. Hier sah er sich ganz anders als die Berater. Danach begann der Berater, seine Aussagen anhand der Videosequenzen zu belegen. Felix Bertram konnte kaum glauben, was er sah und hörte. Aber es bestand kein Zweifel: dieser Redeschwall aus Floskeln, Füllworten und vermeintlichen Hilfsangeboten kamen von ihm. Hatte er anfänglich die Rückmeldungen mit Skepsis und eher aus der Beobachterperspektive wahrgenommen, so wich die Skepsis den Ergebnissen gegenüber einer starken Betroffenheit. Er musste sich eingestehen, dass er in mehreren Bereichen wie z.B. Gesprächsführung, Organisation von Aufgaben und Rollenverständnis als Führungskraft erhebliche Defizite hatte. Die Bilder gruben sich tief in sein Gedächtnis. Er spürte den Schmerz, als sein Schutzwall, den er gegen das Einstürzen seiner professionell wirkenden Fassade aufgebaut hatte, zusammenbrach. Er hatte es irgendwie geahnt, dass er noch viel an sich arbeiten musste, um eine wirklich gute Führungskraft zu werden. Jetzt hatte er die Gewissheit. Aber der Berater zeigte auch auf, was er wirklich gut gemacht hatte: er konnte lange konzentriert arbeiten, hatte originelle Ideen für den Vertrieb und konnte Mitarbeiter motivieren.
„Wie geht es jetzt weiter“ wollte er von dem Berater wissen. Der Berater erläuterte ihm daraufhin die Entwicklungs- und Bildungsempfehlungen, die die Berater zusammen gestellt hatten. Es war ein Bündel von unterschiedlichen Lernfeldern und den dazu gehörenden Seminaren. Aber nicht nur Seminare waren aufgeführt, die Lernziele und weitere Lernwege waren konkret benannt z.B. Praxisaufgaben, Coaching und Selbstlernprogrammen.
Für Felix Bertram zeichnete sich ein klarer Weg ab, den er gehen konnte. Er spürte eine Erleichterung und fasste Mut, die Empfehlungen auch umzusetzen. Der Berater händigte ihm seine Expertise aus und fragte ihn, wie es ihm ergangen sei und wie es ihm jetzt gehe. „Ich bin froh, die Potenzialanalyse gemacht zu haben, es hat sich gelohnt, mich zu überwinden und mit darauf einzulassen. Es war anstrengend, auch stressig, aber die Ergebnisse haben mich tief beeindruckt. Und jetzt weiß ich, was ich tun kann, um mich als Führungskraft weiter zu entwickeln. Sie als Berater haben einen guten Job gemacht, vielen Dank dafür.“ Mit einem festen Händedruck verabschiedeten sie sich. Felix Bertram bestieg sein Auto und fuhr nach Hause. Dieser Samstag hatte sich gelohnt.
In der folgenden Woche vereinbarte er mit David Drumm und seinem Chef Aktionen und Maßnahmen, um die Empfehlungen aus der Potenzialanalyse umzusetzen. Ein individuelles Coaching unterstützt seinen Veränderungsprozess.
Heute ist Felix Bertram eine von seinem Chef, seinen Mitarbeitern und Kollegen geschätzte Führungskraft. Über ein Jahr ist seit der Potenzialanalyse vergangen. Felix Bertram hat viel gelernt, neues Verhalten ausprobiert und Höhen und Tiefen durchlaufen. Es hat sich gelohnt. Seine innere Stimme hat sich - bis heute - abgemeldet. Nur noch ganz selten kommt er nach 19 Uhr aus dem Büro. Aber seine Aufgaben hat er dann alle erledigt.